»Corona hat uns wirklich fokussiert.«

Autor:in: Jana Gioia Baurmann

Bild: Christian Klant

»Corona hat uns wirklich fokussiert.«

Wie fast alle Unternehmen musste auch die Väter gGmbH während der Pandemie umdenken – dabei ging es allerdings nicht nur darum, digitaler zu werden. Welche Pläne es nun gibt und wie er auf das kommende Jahr blickt, erzählt Volker Baisch im Interview.

Ashoka: Wie hat 2020 für dich und euch als Väter gGmbH begonnen?

Volker: Wir sind fulminant gestartet: Ende Januar hatten wir den großen Väter-Summit in Berlin, unter anderem war Familienministerin Franziska Giffey dabei. Schon dort haben wir gespürt, dass das Thema Väter gesellschaftlich noch relevanter wird. In den vergangenen Jahren sind die Väter immer mutiger geworden, immer mehr wollten bei den Vorträgen dabei sein, und auch in den Mitgliedsunternehmen spürten wir in den Netzwerken eine Aufbruchstimmung. Nach dem Väter-Summit erreichten uns auch viele neue Anfragen von Unternehmen. Dann kam die Vollbremse, wie bei vielen und jeder war mit sich selber beschäftigt.

Wie habt ihr reagiert?

Das hat uns erst einmal natürlich total durchgeschüttelt. Dann habe ich von dem Hackathon gehört, #WirvsVirus, woraus die Seite »Väter in Zeiten von Corona« entstanden ist. Sie war für uns der Ausweg aus dem Dilemma und die Möglichkeit, den Vätern direkt zu helfen. Besonders im April hörte man von Überforderungen, von heftigen Auseinandersetzungen, von Trennungen, manchmal auch von Gewalt. Wir fragten uns: Wie bekommen die Elternpaare diesen neuen Alltag besonders mit kleinen Kindern gemanagt? Die Frage, wie sie die Zeit sogar für ihre Partnerschaft auch nutzen können, kam erst nach dem ersten Lockdown. Unser neues Informations- und Beratungsangebot »Väter in Zeiten von Corona« war von Anfang an sehr gefragt – so einen Bedarf hatten wir zuvor nie.

Welche Fragen hast du da von den Vätern am häufigsten gehört?

Die größte Herausforderung war, sich als Paar neu zu justieren, sich 24 Stunden aufeinander einzustellen. Kommunikation wurde zum wichtigsten Thema – für viele war das ungewohnt, weil die Rollen und der Alltag über Jahre hinweg eingespielt waren. Traditionell ist es leider noch immer so, dass 80 Prozent der Männer die Familienernährer in der Familie sind. Daher war uns sehr schnell klar, dass viele Väter Unterstützung brauchten. Viele beschäftigten sich auch mit dem Thema der richtigen Abgrenzung: Wo fängt Arbeit an, wo hört sie auf? Wie kann Homeoffice über fünf Tage hinweg funktionieren? Wo fängt das Familienleben an?

Das klingt, als hättet ihr sehr viel neu entwickelt.

Viele geplante Vortragsthemen haben wir komplett verändert. Nicht nur, dass wir alles aufs Digitale umgestellt haben – wir haben auch neue Themen gesetzt. Wie eben das Thema Paarkommunikation. Als Väter gGmbH haben wir im laufenden Betrieb das Jahr neu geplant. Ich habe in den zurückliegenden Monaten so viel gearbeitet wie noch nie, manchmal sogar 60 Stunden in der Woche. Ausgerechnet ich, der immer Balance predigt. Aber es war eine so besondere Situation und wir mussten uns ja auch um auch unsere eigene Transformation kümmern.

Im Frühjahr wurdet ihr auch Teil von Changemakers United. Was hat euch das gebracht?

Wir haben uns riesig gefreut und da wurde mir deutlich, was wir für tolle Möglichkeiten haben – trotz oder gerade wegen der Pandemie –, unser Thema weiter zu verbreiten. Im März waren wir noch viel mit uns selbst beschäftigt, haben die Seite aufgebaut und uns wie viele gefragt, wie es überhaupt weiter gehen kann. Mit Changemakers United entstand sofort eine Aufbruchstimmung im Team und die Möglichkeit, unsere Seite bekannter zu machen, da wir von Pro Bono-Partnern Unterstützung bekamen.

Inwieweit steckte auch eine Chance in dieser Zeit?

Es wurden sehr viele Umfragen, gerade zu der Aufgabenverteilung von Müttern und Vätern, veröffentlicht. Auch wir haben selbst Umfragen initiiert, darunter eine Paarstudie, die im Februar veröffentlicht wird. Unterm Strich kann man sagen, dass Corona gerade Elternpaaren und Vätern jetzt die Möglichkeit bietet, ein partnerschaftliches Miteinander als Paar zu entwickeln. Es gab in den letzten Jahren selten so ein offenes Fenster, um Neues auszuprobieren und damit die eigene Vater- beziehungsweise Paarrolle zu transformieren. Das erleben wir zurzeit auch in den Mitgliedsunternehmen des Väternetzwerks. Väter sind plötzlich sichtbarer geworden, die Vorgesetzten haben festgestellt: Ach, der hat ja Familie.

Wie der Politik-Professor Robert Kelly, der für ein Interview mit der BBC über Skype zugeschaltet war – und plötzlich war die Tochter mit im Bild.

Damals lachten noch viele über ihn, nach dem Motto: Wieso reagiert er so hektisch?! Inzwischen ist es nichts Außergewöhnliches mehr. Dem Kind würde man einfach sagen: Ich arbeite gerade. Und dann weiter arbeiten oder das Kind auf den Schoß holen. Auch diese positive Veränderung hat Corona gebracht: Kinder kommen über die Bildschirme ins Unternehmen. Und: Es wird kein Zurück mehr geben, denn 70 Prozent der Väter wollen auch weiterhin ein bis drei Tage in der Woche im Homeoffice arbeiten, 35 Prozent denken verstärkt über Teilzeit nach. Die Veränderung findet bereits statt.

Wenn du nun zurückblickst auf 2020 – was ist dein Fazit?

2020 hat fulminant angefangen – und es hört fulminant auf. Seit Oktober haben uns 30 Anfragen von Unternehmen erreicht, die meisten kamen über Empfehlungen und unserem Netzwerk. So viele hatten wir noch nie. Und fast alle Unternehmen, mit denen wir bereits zusammenarbeiten, vertrauen auf uns und sind im Netzwerk geblieben. Es ist irre, wie das, was wir uns Anfang des Jahres erhofft hatten, nun plötzlich Realität ist. Noch nie bin ich so optimistisch und mit so einer Klarheit in ein neues Jahr gestartet.

2021 ist auch das Jahr, in dem ihr euer zehnjähriges Jubiläum des Väternetzwerks feiert. Was hat sich seit eurer Gründung hinsichtlich Vätern, Erziehung und Elternzeit getan?

2011 starteten wir mit drei Unternehmen ein erstes Programm. Wir waren in dem Bereich der Vereinbarkeit und Väter schon immer die Pioniere – und sind es noch immer. Das ist sicher mit ein Grund, weshalb gerade die Paare, die sich Erziehung und Betreuung paritätisch teilen, immer noch in der Minderheit sind. Klar haben wir einige DAX-Unternehmen im Portfolio, die Mitarbeiterzahlen der Väter in unseren Mitgliedsunternehmen bewegen sich im Hunderttausender-Bereich – aber da ist Raum für viel, viel mehr. Besonders im Bereich kleine und mittelständische Unternehmen, für die wir jetzt auch ein spezielles Angebot entwickelt haben.

Warum geht es so langsam vorwärts?

Als wir 2011 anfingen, kam allmählich das Thema Diversität auf. Mich hat das gefreut: Super, Väter und Mütter denken das Projekt Familie doch zusammen, dachte ich. Aber schnell hieß es: Nein, nein, das Geld ist für die Frauenförderung gedacht und nicht für die familienorientierten Männer. 2013 hat sich das dann langsam verändert und die Anfragen stiegen. 2015, als das Elterngeld mit dem Elterngeld Plus erweitert wurde und die Partnerschaftsmonate eingeführt wurden, brachte die Wende. Seitdem erleben wir eine kontinuierliche Zunahme an neuen Unternehmen – darunter auch immer mehr große Verwaltungen und erste kleine und mittelständische Unternehmen, die erkennen, dass moderne Vaterschaft gerade heute bei vielen jungen Vätern ein wichtiges Kriterium ist, um die besten Mitarbeiter zu binden und zu rekrutieren.  

Die Pandemie hat Familien und Paare vor neue Herausforderungen gestellt – und neue Wege bereitet. Welche Veränderungen gab es intern bei euch?

In den vergangenen Jahren haben wir viele Projekte mit Ministerien gemacht und einige Studien durchgeführt. Da wir in dem Bereich Väter immer schon die Pioniere waren, waren diese Projekte wichtig für die Weiterentwicklung unserer Angebote. Klar wussten wir, dass Väter in der Erziehung genauso wichtig wie Mütter sind – aber wir brauchten Zahlen, Daten, Fakten. Und wollten natürlich wissen, wie wir die Wirkung unserer Angebote in den Unternehmen steigern können.

Und die schwierigen Momente, die Corona auch mit sich brachte und immer noch bringt, haben euch nicht davon abgebracht?

Nein, auch wenn das Jahr eine Achterbahnfahrt der Gefühle war. Trotz eines KfW-Kredits, den wir aufnehmen mussten und ohne den wir den Sommer nicht überstanden hätten, sind wir bei unserer Entscheidung geblieben: Wir konzentrieren uns auf die Skalierung des Väternetzwerks und nehmen keine neuen Ministeriumsprojekte mehr an, die in der Vergangenheit sehr viel Zeit geschluckt haben. Corona hat uns wirklich fokussiert. In Zukunft werden wir uns ausschließlich auf Unternehmen und die politische Lobby-Arbeit in Berlin konzentrieren. Für 2021 haben wir nun alle Weichen gestellt, um den Stimmen der Väter mehr Nachdruck zu verleihen und den gesellschaftlichen Entscheider:innen deutlich zu machen, dass Frauenförderung erst dann richtig wirksam ist, wenn auch die Männer mit ins Boot geholt werden. Die gesellschaftliche Transformation wird nur gemeinsam funktionieren – auch das hat die Pandemie deutlich gemacht.

Was ist mit den Vätern, die in den kleinen und mittelständischen Unternehmen arbeiten?

Ja, es ist wichtig, auch die KMUs und die kleineren Betriebe mit Angeboten anzusprechen, denn das Thema der Väter ist kein Thema der Großunternehmen. Immerhin ist in kleinen und mittelständischen Unternehmen mehr als 60 Prozent der arbeitenden Bevölkerung beschäftigt. Was wir ebenfalls planen, sind Angebote für Handwerkverbünde. Die digitale Transformation in den Unternehmen hat uns als Väter gGmbH viel Rückenwind und ganz neue Möglichkeiten gebracht. Was man sagen kann: Corona hat uns sehr viele Chancen geboten – und wir haben sie genutzt.