»Da sind zum ersten Mal Türen aufgegangen.«

Autor:in: Jana Gioia Baurmann

Bild: KuPoGe

»Da sind zum ersten Mal Türen aufgegangen.«

Im vergangenen Jahr hat Ashoka-Fellow Lisette Reuter an einer neuen Kulturagenda für Europa mitgewirkt. Das Anliegen: Kultur und Kunst sollen inklusiver werden. Was sich seitdem getan hat, erzählt sie im Interview.

Ashoka: In dem Report ‚Disabled artists in the mainstream: a new cultural agenda for Europe‘, an dessen Entstehung du und Un-Label beteiligt waren, gebt ihr Handlungsempfehlungen an die Politik – genauer: an europäische Kulturprogramme – ab: Sechs Vorschläge, wie sich inklusive Kulturarbeit verbessern lässt. Wie kam es dazu, dass sich Akteur:innen aus ganz Europa zusammengetan haben?

Lisette: Der Report ist im Rahmen des großen EU-Projekts »Europe Beyond Access« entstanden, das vom British Council geleitet und koordiniert wird – mit Un-Label sind wir da Partner. Im November 2019 fand das erste European Arts and Disability Cluster Treffen in Den Haag statt – dorthin eingeladen waren alle Akteur:innen, die sich mit Inklusion und Kultur  in geförderten EU-Projekten beschäftigen. Es war das erste Mal, dass sich alle Akteur:innen aus diesem Feld auf europäischer Ebene getroffen und sich strukturell überlegt haben, wie man die Dinge auch politisch nach vorne bringen kann. Im März 2020 haben wir den Report dann europaweit veröffentlicht – dass Corona kommen würde, konnten wir ja nicht ahnen …

Das war vor einem Jahr – warum schreibst du im aktuellen Magazin Kulturpolitische Mitteilungen darüber? Was hat sich seitdem getan?

Nachdem der Report gelauncht war, haben wir am 3. Dezember – am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung – ein Politik-Papier veröffentlicht, das an bestimmte Personen auf europäischer Ebene ging. Mit dem Nachdruck, dass in dem neu verabschiedeten Creative Europe-Programm das Thema wirklich aufgenommen wird. Man muss wissen, dass die EU-Programme alle sieben Jahre verabschiedet werden und dass damit ein Fundament für sieben Jahre gelegt wird. 

Wart ihr erfolgreich?

Ja, dieses Paper hat gefruchtet, denn: Vertreter der europäischen Kommission und der Programme kamen auf uns zu und Mitte Januar haben wir uns mit denen zusammengesetzt. Nun ist das Thema Inklusion und die Teilhabe von Menschen mit Behinderung als Akteur:innen und Zuschauer:innen zum ersten Mal als transversales Prinzip verankert. Und die wollen auch weiter mit uns in Kontakt bleiben, wir sollen eine beratende Funktion beibehalten. Für dieses Jahr sind da noch keine großen Sprünge zu erwarten, aber ab 2022 sollen unsere Empfehlungen aufgegriffen und sukzessiv umgesetzt werden. Da sind zum ersten Mal Türen aufgegangen.

In dem Report ist zu Beginn ein Foto abgebildet, auf dem die Teilnehmenden zu sehen sind. Du sagtest, dass da zum ersten Mal alle Akteur:innen zusammen gekommen sind – so viele sind dort allerdings nicht zu sehen. Was heißt: Auf dem Gebiet ist noch viel zu tun. Oder wie siehst du das?

Ja, der Sektor ist verhältnismäßig klein. Bei dem Treffen in Den Haag waren circa 30 Leute, natürlich konnten nicht alle Partner:innen aus allen Projekten kommen. Aber klar, wir wollen und müssen größer werden, aber das braucht Zeit – und Gehör. Das Spannende an Europe Beyond Access ist ja, dass da große europäische Mainstream-Organisationen dabei sind. Aus Deutschland beispielsweise Kampnagel aus Hamburg, die hierzulande das größte freie Produktionshaus sind. Die haben sich wirklich für dieses Thema geöffnet. Oder das Onassis Cultural Center in Athen, das neben der National Opera in Athen das größte Kulturzentrum Griechenlands ist. Das wäre, als würden wir hier mit der Deutschen Oper zusammenarbeiten.

Niederlande, Griechenland – welches europäische Land ist weit vorn, wenn es um inklusive Kultur geht?

Trotz Brexit: ganz klar Großbritannien, seit Jahren schon. In den 1980ern gab es dort die Disability Rights-Bewegung, daraus ist ein neues Diversitätsmanifest zur Förderung von Kultur entstanden. Anders als Deutschland ist Großbritannien nicht föderal strukturiert, das heißt, dass dieses Manifest direkt flächendeckend umgesetzt werden konnte. Alle Kulturakteur:innen sind seitdem aufgerufen, sich barrierefrei und inklusiv auszurichten. Wenn du als Kulturakteur beim Arts Council, also dem Nationalen Rat für die Künste, einen Antrag stellst, musst du auf das Thema Barrierefreiheit eingehen – und kannst Extrakosten für Barrierefreiheit beantragen, die unabhängig sind von deinen Produktionskosten. Das ist das, wofür wir auf deutscher Ebene so sehr kämpfen. Viele Punkte, die wir in dem Report fordern, werden in Großbritannien bereits seit Jahren erfolgreich umgesetzt. Hier lohnt der Blick über den Ärmelkanal – die deutsche und europäische Kulturförderlandschaft sollte sich hier ein Beispiel nehmen.