
Autor:in: Jana Gioia Baurmann
Bild: Christian Klant
»Unser Ziel ist die digitale Autonomie von Arbeitnehmern und Arbeitsuchenden.«
In dem Fachbuch »Digitalisierung der Management-Diagnostik« beschreibt ein Kapitel Inhalt und Vorgehensweise von talent::digital, eine Plattform zur Erfassung des digitalen Mindsets. Hinter talent::digital steht Ashoka-Fellow Roman Rüdiger, der das Unternehmen 2018 gründete. Was aber versteht man unter digitalem Mindset? Und welche Rolle spielt Corona, wenn es um Digitalisierung geht? Ein Gespräch.
Ashoka: Roman, wann hast du gemerkt, dass du deine Denkweise digitalisieren musst?
Roman: Oh, das ist lange her. Ich würde sagen, als ich gemerkt habe, dass Rechner nicht nur für Kommunikation genutzt werden, sondern Prozesse abbilden. Im Grunde gilt das ja für drei Bereiche: Operations, also Arbeitsabläufe, da gibt es viele Beispiele. Dann: Kundenbindung, weil du deine Zielgruppen digital wesentlich besser erreichst. Und drittens: Neue Angebote, die es vorher nicht gab beziehungsweise geben konnte, weil die digitalen Grundlagen fehlten.
Hast du Beispiele für bessere Arbeitsabläufe?
Als wir bei Education Y begonnen haben, das ganze Thema Kanban zu entdecken, haben wir das auch fürs Fundraising eingesetzt. In unserem Büro in Düsseldorf hatten wir so eine Kanban-Tafel …
… also eine Tafel, auf der sich mit Magneten oder Kärtchen darstellen lassen, was noch zu tun ist, an was aktuell gearbeitet wird und was bereits erledigt ist.
Eine Kollegin aus dem Fundraising-Team wohnte in Berlin – ein Mal im Monat kam sie nach Düsseldorf und wir setzten uns gemeinsam vor die diese Tafel und haben Kärtchen verschoben. Irgendwann haben wir Trello entdeckt und gemerkt: Cool, das geht ja auch digital! Für uns bedeutete das plötzlich: Egal, wo wir waren – wir konnten alle auf das gleiche, aktuelle Trello-Board zugreifen. Die Kollegin musste nicht mehr aus Berlin anreisen. Trello hat darüber hinaus ja auch noch eine Inhaltstiefe: Du kannst Dateien anhängen. Da gab und gibt es einen echten, echten Mehrwert.
Was verstehst du unter digitalem Mindset?
An dem Trello-Beispiel lässt sich das ganz gut erklären. Zuerst: Wir nutzen ein Tool – das passiert auf der Handlungsebene. Dann: Wir verändern unsere Kollaboration, das heißt, dass die Kollegin nicht mehr extra aus Berlin anreisen muss. Und wir immer drauf schauen können. Drittens: Du merkst, dass sich Prinzipien ändern. Das ist auch in unserem Team passiert: Wir brauchen einen Ort, an dem wir Präsentationen gemeinsam bearbeiten können. Gibt es da nichts Digitales? Personen, die früher vielleicht zurückhaltender waren, was Neues angeht, fragten nun aktiv. Und schließlich: die Werteebene. Aus »Digitales bloß nicht« wird »Digitales auch«. Anschließend bist du im Mindset. Du kennst die Vorteile, du kennst Gefahren, du kannst es kreativ nutzen.

»In kurzer Zeit hat die ‚Corona-Zäsur’ die Digitalisierung in vielen Lebensbereichen spürbar vorangetrieben, auch in der Personalwirtschaft«, heißt es in dem Buch, in dem talent::digital und eure Arbeit vorgestellt werden. Welche Rolle spielt die Pandemie, wenn wir von Digitalisierung reden?
Durch Corona hat sich eine Menge getan. Wenn wir nochmal auf die drei bereits genannten Bereiche schauen, gab es den größten Zuwachs bei den Arbeitsabläufen: Mit einem Mal konferieren alle über Zoom, Teams und andere Programme. Dateien werden kollaborativ genutzt. In den beiden anderen Bereichen, also Kundenansprache und neue Angebote, hat sich jedoch kaum etwas getan.
Warum nicht?
Ich glaube, weil die Leute zuallererst das Bedürfnis haben, ihre Abläufe sicherzustellen. Neue Angebote beschränken sich auf eine neue und damit andere Form der Kanäle: Was vorher persönlich ablief, wird nun via Zoom kommuniziert. Eine wirkliche Erneuerung ist das nicht. Digitales Mindset bedeutet ja auch viel mehr als nur Digitales zu nutzen. Es geht ja darum, anders zu denken.
Schon jetzt habe Corona die Art zu arbeiten tiefgreifend verändert, sagen die einen. Andere wiederum behaupten, dass wir – ist die Pandemie einmal vorbei – wieder in gewohnte Muster zurückfallen. Wie siehst du das?
Ich glaube, dass Corona nur beschleunigt hat, was es bereits gab. Die Digitalisierung lässt sich mit der Industrialisierung vergleichen. Auch da gab es plötzlich eine veränderte Realität und diese Realität erforderte andere Kompetenzen. Es gab Menschen, die sehr früh erkannten, welche Möglichkeiten sich da eröffnen – und neue Ideen hatten. In der Digitalisierung heißen diese Menschen unter anderem Bill Gates, Jeff Bezos, Steve Jobs. Haben die unsere Realität verändert? Massiv! Für alle anderen gilt: Wir müssen uns anpassen, dazu lernen, aufholen. Diejenigen, die den Zeitenwandel nicht mitmachen, haben verloren.
»Oft aber fokussieren wir uns jedoch darauf, die richtigen Tools und Prozesse einzusetzen, anstatt Tools und Prozesse richtig einzusetzen«, heißt es in dem Buch. Kannst du das erklären?
Wenn du digital denken kannst, verfügst du über eine reflexive Ebene: Du weißt, wofür du etwas einsetzen möchtest. Du wirst, was die Digitalisierung angeht, vom Objekt mehr zum Subjekt. Wir sind inzwischen so weit, dass wir sagen: Unser Ziel ist die digitale Autonomie von Arbeitnehmern und Arbeitsuchenden.
Wie wird euer Angebot von Unternehmen angenommen?
Das, was wir anbieten, nämlich eine valide Messung von digitalen Kompetenzen, gibt es sonst nicht. Unser Tool ist das einzige, das handlungsorientiert misst. Die Digital Fitness App von PwC beispielsweise oder der Digital Readiness Check von Kienbaum basieren auf Selbsteinschätzung. Wir aber können dir – aufgrund von Daten, die wir haben – genau sagen, wo deine Stärken und Schwächen liegen.
Wer sind eure Kunden?
Mittelstand, große Konzerne, da ist alles dabei. Unsere meisten Kunden im Moment sind allerdings Jobcenter.