
Autor:in: Laura Haverkamp
Bild: Julia Kloiber
Von Wandel und
einer neuen Normalität
Als die Pandemie begann, intensivierten wir den Kontakt zu unserem Netzwerk: Was braucht ihr?, fragten wir. Wie können wir helfen? Doch auch wir als Ashoka Deutschland mussten uns mit einem Mal fragen: Was brauchen wir denn eigentlich? Und was sind wir imstande zu tun? Ein Einblick in unsere Arbeit in Zeiten von Covid-19.
»Während wir alle so beschäftigt damit sind, zum Normal zurückzukehren – vielleicht halten wir kurz inne, um zu überlegen, zu welchen Teilen von Normal es sich zurückzukehren lohnt.« Es war einer dieser Sprüche, die einem in den vergangenen Wochen im Internet begegneten. Und er blieb hängen. Was wäre es für dich? Wie würdest du die Frage für dich beantworten?
Werden wir gefragt, was Covid-19 und die – noch so schwer abzusehenden – Folgen für Ashoka bedeuten, gibt es Antworten auf mindestens drei Ebenen. Und sie alle haben damit zu tun, zu welchen Teilen von Normal wir zurückkehren wollen – oder besser: Welches neue Normal wir mitgestalten möchten.
Die erste Antwort, natürlich: Unsere akute Reaktion auf die Krise, der Blick in unser Netzwerk von Sozialunternehmerinnen und denjenigen, mit denen sie arbeiten. Wer ist wie betroffen? Wer braucht welche Hilfe? Bei regelmäßigem Austausch im Netzwerk bleiben wir in dieser Zeit Sparringpartnerin und Vermittlerin, mobilisieren und verknüpfen, wo wir können. In Deutschland haben wir in enger Zusammenarbeit mit dem Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND) Bedarfe verstanden, Lücken in Hilfsmaßnahmen aufgedeckt und in Richtung Politik, Verwaltung und auch Presse auf die Schließung derer gedrängt. Unternehmen ohne Profitorientierung und gemeinnützig tätigen Organisationen müssen wir mindestens genauso zur Seite stehen, wie auch der profitorientierten Wirtschaft. Weil wir überzeugt sind, dass wir Sozialunternehmerinnen schmerzlich vermissen würden, ließen wir sie in der Krise hängen. Und: Die Investition jetzt rechnet sich mit Sicherheit mehr als das wieder aufzubauen, was potenziell kaputt ginge.
International ist Ashoka an einer Allianz von 40 Organisationen beteiligt, die insgesamt 15.000 Sozialunternehmerinnen in 190 Ländern begleiten, die wiederum 1,5 Milliarden Menschen mit ihren Leistungen erreichen – um koordinierte Mobilisierung von Mitteln, guten Informationsfluss und das gemeinsame (öffentlichkeitswirksame) Gespräch über die Gestaltung einer gerechteren, nachhaltigen Welt nach dieser Pandemie soll es hier gehen. Gleichzeitig schauen wir auf Ashoka als Organisation und darauf, wie uns die Situation jetzt betrifft und betreffen kann. Sollten Spielräume unserer Partnerinnen schrumpfen und Budgets für das nicht offensichtlich Notwendige gestrichen werden – was macht das mit uns? Gut denkbar, dass die größere Herausforderung für uns erst noch kommt.
Hier schnell in Szenarien zu denken, zu verstehen, wo wir stehen als Organisation – in Deutschland, Europa und auch global – und wie wir uns auch in herausfordernden Zeiten so aufstellen, dass wir weiterhin gesellschaftlich wirken können auf anspruchsvollem Niveau – das sind die Gespräche und Umstrukturierungen, die jetzt intern passieren.
Auch ganz praktisch hat sich unser Arbeiten natürlich verändert: Teil unserer gemeinsamen Kultur ist es, mit unserem ganzen Selbst zur Arbeit kommen zu können – und wow, das hat nochmal eine neue Dimension bekommen. Zwölf Kinder zwischen anderthalb und 15 waren mehr oder weniger sichtbar zu Gast in Besprechungen, wir kennen unsere Wohnzimmer und Mitbewohnerinnen. Ist das immer leicht? Nein, keineswegs. Sind wir ein bisschen verrückt, trotzdem Tempo halten zu wollen? Vielleicht. Wir wissen jetzt mehr denn je zu schätzen, welche Teamkultur wir uns erarbeitet haben: Uns immer wieder herauszufordern und auch nachsichtig zu sein. Uns zu unterstützen, aufzubauen, Tiefs sichtbar sein zu lassen und Hochs miteinander zu feiern. Gerade in Zeiten wie diesen trägt uns das und lässt uns effektiv bleiben. Eines aber fehlt uns allen sehr: Der persönliche Kontakt. Unsere DNA sind persönliche Beziehungen. Wie geht Netzwerken ohne Netzwerke, wie berührt man, ohne zu berühren und begeistert, ohne live zu erleben? Was uns bestärkt: Das Feedback unserer Partnerinnen und Unterstützerinnen. Es zeigt sich, wie sehr vertrauensvolle Beziehungen tragen und wie krisenfest gemeinsame Ziele sind. Das ermutigt uns, auch in dieser Zeit dranzubleiben und nicht stillzustehen. Im Gegenteil, denn diese Situation zeigt auch ganz deutlich das so kraftvolle Alleinstellungsmerkmal von Ashoka als globalem Netzwerk: Eine Ansammlung außergewöhnlicher Menschen – Fellows, Partnerinnen, Teammitglieder, Unterstützerinnen, Multiplikatorinnen und vielen mehr – und Ideen mit einem gemeinsamen Ziel: Probleme zu überwinden und eine gerechte, nachhaltige Gesellschaft zu schaffen, in der immer mehr Menschen aktiv mitgestalten können.
Welche Möglichkeiten, welche Rolle und vielleicht auch welche Verantwortung tragen wir also als Netzwerk von Vorreiter:innen gesellschaftlichen Wandels? Wie geht die Balance, jetzt besonders auf systemische Missstände hinzuweisen, beispielsweise im Bereich Bildungs(un)gerechtigkeit, und gleichzeitig konzertiert und so konstruktiv laut wie möglich auf Aus- und Lösungswege hinzuweisen? Welche Türen sind jetzt vielleicht schneller geöffnet als sie es bislang waren? Wie gelingt es uns, in unsicheren Zeiten andere trotzdem zu motivieren, selbst aktiver Teil von Wandel zu sein?
In den kommenden Monaten sind wir gefragt – alle miteinander: Unsere Perspektiven zu bündeln, den Blick über das eigene Tun, die eigene Organisation hinaus zu weiten, Netzwerke zusammen zu spannen und miteinander Wirkungsvolles umzusetzen. Immer mit dem Blick auf die Frage: Zu welchem Normal wollen wir voran gehen?
Dieser Blick ist einer, der Freude bereitet und Lust auf Gestalten macht. Auch im Angesicht großer Herausforderungen bleibt er ein optimistischer, ein unternehmerischer, einer, der sagt: Wandel geht. Wandel geht gemeinsam. Jetzt erst recht.