»Wenn wir ein Problem haben, an dessen Lösung alle beteiligt sein sollen, müssen wir auch alle mitnehmen.«

Autor:in: Jana Gioia Baurmann

Bild: Christian Klant

»Wenn wir ein Problem haben, an dessen Lösung alle beteiligt sein sollen, müssen wir auch alle mitnehmen.«

Mit atempo wollen Walburga Fröhlich und Klaus Candussi erreichen, dass jeder Mensch in seiner Geschwindigkeit lernen und arbeiten kann. Im Mittelpunkt stehen Menschen mit Lernschwierigkeiten – während der Pandemie wird nun deutlich, dass viel mehr Menschen auf eine verständliche Sprache angewiesen sind. Wie Klaus das Jahr erlebt hat und welche Pläne atempo verfolgt, darüber erzählt er im Interview.

Ashoka: Mit welchen Erwartungen seid ihr in 2020 gestartet?

Klaus: Wir hatten große Pläne, weil es das Jahr war, in dem unsere Arbeit an und mit der künstlichen Intelligenz so richtig auf den Weg kommen sollte. Und es ging auch ganz gut los – wir haben mit großen Firmen gesprochen, die diese Technologie brauchen können. Also Informationen zu vereinfachen und nicht wie bisher nur in Form von Kopfarbeit, sondern dass einen großen Teil der Vorarbeit die künstliche Intelligenz leistet. Leider wollte dann ab dem Frühjahr niemand mehr mit uns darüber reden … die Seifenblase platzte zunächst einmal.

Wie ging es weiter?

Zum Glück hatten wir bereits 2016 die Entscheidung getroffen, nicht dem allgemeinen Vorurteil zu folgen, dass diese ganze Digitalisierung für den Sozialbereich nicht so wichtig sei und so. Unter dem Schlagwort »Digital kann sozial« haben wir geschaut, wie wir diese neuen Entwicklungen sinnvoll für unseren Bereich nutzen können. Diese Vorarbeit ist uns sehr zugute gekommen. Weil wir sehr schnell sehr konkrete Lösungen anbieten konnten.

Heißt?

Im Zusammenhang mit der Pandemie wurde und wird wieder einmal eines deutlich: Wenn ich ein Problem lösen möchte, geht es zuallererst um Information. Damit meine ich nicht nur Information, die bereits vorhanden ist – im Prinzip können wir ja alles googeln, alles Wissen ist verfügbar –, sondern gehe einen Schritt weiter: vom Wissen hin zu Verständnis. Wenn wir ein Problem haben, an dessen Lösung alle beteiligt sein sollen, müssen wir auch alle mitnehmen. Bei der Pandemie müssen möglichst alle Menschen verstehen, was passiert. Jede:r muss verstehen, wie er oder sie sich verhalten soll – wenn da was unklar bleibt, erleben wir das, was gerade passiert: Dass viele schlecht informiert sind und sich dementsprechend verhalten. Diese Menschen werden nicht Teil der Lösung, sondern bleiben Teil des Problems.

Wenn es vor der Pandemie um das Thema Digitalisierung ging, hieß es in vielen Bereichen »Brauchen wir nicht« – dann, plötzlich, brauchten es alle. Du sagst, dass ihr gute Vorarbeit geleistet habt. War die Nachfrage bei euch also entsprechend hoch?

Kurz nach Ausbruch der Pandemie hatten wir so viel Arbeit, dass uns das gängige Modell unserer Regierung – nämlich in Kurzarbeit zu gehen – fast das Genick gebrochen hätte. Wir hatten viel mehr Arbeit, die Frage war nur: Können wir das zahlen? Als deutlich wurde, wie wichtig alles Digitale mit einem Mal war, haben wir schnell reagiert. Wir haben beispielsweise eine Plattform für Assistenzvermittlung aufgebaut, www.ava.services. Und wir haben begonnen, mit dem Ministerium zusammen zu arbeiten. Dass Informationen über die Pandemie selbst verständlich formuliert werden, ist inzwischen Standard geworden. Bevor unser Sozialministerium etwas herausgibt, kommen sie zu uns mit der Bitte, es so aufzubereiten, dass es möglichst alle verstehen.

Wie hast du die Kommunikation seitens der Politik zu Beginn wahrgenommen? In Deutschland beispielsweise wurde sie, zumindest am Anfang, sehr kritisiert …

Die schlechte Kommunikation zu Beginn hat uns nicht überrascht, weil wir das seit Jahren kennen. Auch dass es eben bei weitem eine viel größere Zielgruppe betrifft, als allgemein angenommen wird. Viele glauben ja, verständliche Informationen sind etwas, das Menschen mit Lernschwierigkeiten und Migrant:innen brauchen. In Wirklichkeit weiß man, dass die Hälfte der behördlichen Informationen nicht verstanden wird. Konkret heißt das: Diese Leute sind immer abhängig von der Hilfe anderer.

… und damit ja auch von der Meinung anderer.

Das kommt hinzu, ja. Wenn ich weit zurückschaue, ging es uns anfangs bei der Arbeit mit capito darum, dass uns in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung aufgefallen ist, dass diese Zielgruppe – wir reden jetzt konkret von denjenigen, die man früher geistig behindert nannte und heute Menschen mit Lernschwierigkeiten – in der Regel keine eigenen selbstständigen Entscheidungen treffen. Man meinte: nicht treffen können. Dabei ist dieses eigenständige Entscheiden uns allen wahnsinnig wertvoll. Wir haben dann genauer hingeschaut und erkannt, dass für jede Entscheidung, die wir treffen, eine gewisse Informationsbasis vorhanden sein muss, die wir verstehen. Und genau da liegt das Problem.

Wen betrifft dieses Problem denn noch?

Einen Großteil der Bevölkerung. Und das Problem hat große Auswirkungen in den gesellschaftlichen Bereich: Was ist etwa mit der gesellschaftlichen Kohäsion in Zeiten von Fake News? Die klassischen Medien lassen da, unserer Meinung nach, weite Teile der Bevölkerung – im Österreichischen würden wir sagen – dumm sterben, weil sie nicht imstande und willens sind, Informationen allgemein verständlich aufzubereiten. Sondern sie glauben, qualitätsvolle Informationen seien etwas für die Oberschicht, da können wir in C1 oder C2 formulieren …

C1 und C2 sind die höchsten Sprachniveaus. C2 bedeutet, dass alles Gelesene oder Gehörte mühelos verstanden wird …

Und dann wundern wir uns alle, wenn weite Teile der Bevölkerung nur schlechte Informationsquellen nutzen können. Ja, die Bild-Zeitung schreibt eben verdammt einfach, und auch auf Facebook oder Telegram wird oftmals einfach formuliert – diese Medien sind für viele dann die einzige Informationsquelle. Ich würde soweit gehen zu sagen, dass die Medien eine Mitschuld haben an dem Zustand, den wir gerade schmerzhaft erleben.

Fake News sind schon länger ein Thema, während der Pandemie kamen nun Bewegungen wie die der Querdenker auf.

Das Schlimme ist, dass die Populisten schon immer früh erkannt haben, dass sie einfach formulieren müssen. Und die ziehen das auch durch. Aber zum Glück ändert sich allmählich etwas. Vor ein paar Jahren haben wir ein Projekt mit der österreichischen Presseagentur gestartet, auch weil das eine Möglichkeit ist, Informationen auf verschiedenen Niveaus digital zu verbreiten. Der ORF hat das inzwischen auf seiner Startseite. Was die Abfrage angeht, bewegen wir uns monatlich im mittleren Hunderttausender Bereich. Da klicken die Leute drauf, die wollen das haben. Das geht nun weiter.

Inwiefern?

Wir sind gerade in Gesprächen mit deutschen Nachrichtenagenturen.

Du beziehungsweise ihr seid Teil von Changemakers United. Welchen Mehrwert hat(te) das Programm für euch?

Der große Mehrwert für uns ist Sichtbarkeit. Das Problem ist ja immer: Du kannst hübsche Lösungen haben, aber wenn du aus deinem eigenen Bereich nicht gut heraus kommunizieren kannst, bleibt das immer ein Tropfen auf den heißen Stein. Und du kriegst die Wirkung nicht, die das Ding eigentlich verdient. Changemakers United hat uns international viel Sichtbarkeit gebracht. Jetzt weiß man natürlich nie, was die eine Maßnahme ist, die einen voranbringt – es ist ja immer ein Mix. Changemakers United war jedenfalls ein wichtiger Puzzlestein in diesem Mix, dass es für uns jetzt so gut läuft.

Wo wollt ihr 2021 weitermachen? Was wird Neues passieren?

In Summe überwiegt gerade das Gefühl: Hey, jetzt geht’s richtig los. Aber – ich habe ja immer ein aber: Wir hatten heuer schon ein besonderes Zusammentreffen aus Glück, richtiger Zeitpunkt und Können. 2021 werden wir uns weiter auf die künstliche Intelligenz konzentrieren, die wir gerade entwickeln. Da spielt jetzt die Musik. Neue Investoren sind an Bord gekommen, ein großer Fonds ist nun dabei – das sind alles Entwicklungen, an denen wir lange gearbeitet haben.

Was hat es mit der künstlichen Intelligenz genau auf sich?

Das, was du verstehst, und das, was ich verstehe, hängt ja nicht nur von unserem jeweiligen sprachlichen Vermögen ab, sondern auch von unserem Vorwissen. Wo das liegt, weißt immer nur du selbst. Was die künstliche Intelligenz nun möglich macht: Wir bereiten Informationen auf verschiedenen Niveaus auf und du kannst auswählen, wie du sie in einem bestimmten Moment konsumieren möchtest. Das hängt zum Teil von deinem Vorwissen ab, aber auch von der Situation: Hast du nur wenig Zeit und willst etwas sehr kurz und knackig haben, dann reicht die Zusammenfassung auf dem einfachsten Sprachniveau.

Ist so eine Aufbereitung nicht unglaublich teuer?

Eine Seite Sprachvereinfachung kostet so viel wie eine Seite Text in eine sehr komplizierte Sprache wie beispielsweise das Finnische übersetzen zu lassen. Das limitiert massiv den Output. Die künstliche Intelligenz, die wir jetzt trainieren, kann diesen Prozess weitgehend unterstützen – und günstiger machen. Das bedeutet auch, dass wir viel mehr Informationen zugänglich machen und damit den Impact nach oben treiben können. Doch wir rationalisieren durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz nicht weg, sondern schaffen sogar neue Arbeitsplätze, da die Qualitätssicherung immer vom Menschen gemacht werden muss.