
Autor:in: Jana Gioia Baurmann
Bild: Tetsuro Miyazaki
»Wie schaffe ich es, ein Loch in eine Wand zu bohren, es größer zu machen – und die Wand schließlich zum Einsturz zu bringen?«
Mit dem Digital Freedom Fund unterstützt die Juristin Nani Jansen Reventlow Organisationen und Einzelpersonen, die in Europa Rechtsstreitigkeiten im Bereich Digitale Rechte führen – unter anderem finanziell. Seit März 2021 ist Nani Ashoka-Fellow und damit Teil des weltweiten Ashoka-Netzwerks.
Ashoka: Du bist Niederländerin, als Kontaktadresse des Digital Freedom Fund ist Amsterdam angegeben. Wie bist du in Berlin gelandet – und warum Berlin?
Nani: Der Großteil des Teams arbeitet inzwischen von Berlin aus. Wir haben uns für Berlin entschieden, weil wir an Digitalen Rechten arbeiten und Berlin so etwas wie die Hauptstadt der Digitalen Rechte in Europa ist – wenn man das so sagen kann. Es gibt hier eine Menge Organisationen, die sich mit Digitalen Rechten beschäftigen. Und es gibt viele Organisationen, die sich mit strategischer Prozessführung befassen, was ein weiterer wichtiger Aspekt in der Arbeit ist, die wir machen oder unterstützen. Ein weiterer Grund, nach Berlin zu gehen, war, dass wir auf europäischer Ebene arbeiten – und zwar nicht nur mit der EU, sondern mit dem »großen Europa«, also dem Europarat.
Was genau macht ihr?
Der Digital Freedom Fund unterstützt strategische Rechtsstreitigkeiten zu Digitalen Rechten in Europa. Wir unterstützen Gerichtsverfahren, die eine größere Veränderung in der Gesellschaft bewirken können, als nur einen Fall zu gewinnen. Es geht um einen eher strukturellen Wandel. Die traditionelle Definition von Digitalen Rechten konzentriert sich auf Themen wie Privatsphäre, Datenschutz und freie Meinungsäußerung im Internet. Wir schauen wirklich auf das breitere Spektrum der Menschenrechte, auf das gesamte Ausmaß. Nicht nur bürgerliche und politische, sondern auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.
Kannst du etwas konkreter beschreiben, wie eure Arbeit aussieht?
Wir unterstützen Organisationen und Einzelpersonen, die in Europa Rechtsstreitigkeiten im Bereich Digitale Rechte führen. Dabei tun wir zwei Dinge: Zum einen bieten wir finanzielle Unterstützung. Zum anderen stellen wir sicher, dass sich die Leute mit anderen vernetzen, Strategien entwickeln und Kontakte knüpfen können.
Hast du ein Beispiel?
Ein Fall, den wir auf diese Weise unterstützt haben, wurde im Februar letzten Jahres in den Niederlanden gewonnen. Bei dem Fall ging es um die Verbindung verschiedener staatlicher Datenbanken. Um einen Algorithmus, der erkennen kann, ob jemand einen Betrug begehen wird. Ein bisschen wie die Pre-Crime-Erkennung in dem Film »Minority Report« – und ein klarer Verstoß gegen das Recht auf Privatsphäre.
Wo wurde die Technologie eingesetzt?
Vor allem in Gemeinden mit einer hohen Einwanderungsrate und einem niedrigen Einkommen. Die Anwendung war also sehr diskriminierend. Daraufhin taten sich verschiedene Nichtregierungsorganisationen zusammen und zogen vor Gericht. Wir finanzierten sie. Und sie nahmen an unseren Veranstaltungen teil, darunter auch an einer Klausurtagung für strategische Rechtsstreitigkeiten, die wir organisierten. Dort lernten sie einen UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte kennen, der ein Gutachten in ihrem Gerichtsverfahren vorlegte.
Wie ging es weiter?
Als das Urteil auf Niederländisch herauskam, ließen wir es ins Englische übersetzen und teilten es mit unserem Netzwerk, damit andere von dem Fall erfahren konnten. Das war wichtig, denn die Entscheidung war eine Premiere – und nicht nur für die Niederlande bedeutend, sondern auch für andere Regionen.
Warum hast du den Digital Freedom Fund gegründet?
Ich interessiere mich nicht nur für strategische Prozessführung – ich glaube auch, dass sie ein sehr mächtiges und damit wirkungsvolles Mittel ist. Trotzdem ist strategische Prozessführung noch immer ein zu wenig genutztes Instrument für den sozialen Wandel. Ich fand es interessant zu sehen, wie sie bei den Themen der Digitalen Rechte eingesetzt werden kann. Und auf einer Ebene zu arbeiten, auf der man tatsächlich eine ganze Region betrachtet – und nicht nur einzelne Fälle oder mit einem nationalen Fokus. Wie kann man sicherstellen, dass verschiedene Organisationen und Menschen, die sich für digitale Rechte einsetzen, strategisch zusammenarbeiten und die Dinge tatsächlich verbessern können? Diese Fragen waren Motivation, mit dem Thema anzufangen.
Hast du einen Lieblingsfall?
Oh, da fällt es mir schwer, einen auszuwählen. Allgemein gehalten haben die Fälle, die ich bewundere, einen gemeinsamen Nenner: Nämlich die Leute, die in der Lage sind, ein Problem wirklich kreativ anzugehen. Wie schaffe ich es, ein Loch in eine Wand zu bohren, was wird das Loch größer machen und die Wand schließlich zum Einsturz bringen?
Es geht also gar nicht so sehr um das ganz Große?
Nein. Es geht mehr darum – um bei dem Bild mit der Wand zu bleiben –, die Wand zu bearbeiten. So wie die amerikanische Richterin Ruth Bader Ginsburg es getan hat. Ihr Ziel war es, die Rechte für Frauen zu stärken. Wie ist sie vorgegangen? Sie hat das Narrativ in Prozessen über Geschlechterdiskriminierung umgedreht, indem sie Männer in Fällen vertrat, die halfen, die Rechte der Frauen voranzubringen. Es ist wirklich eine Art kreatives Nachdenken darüber, wie ich dieses Ziel erreichen kann und was die einzelnen Schritte sind, um dorthin zu gelangen.
Das Durchschnittsalter des Europäischen Parlaments liegt aktuell – eine Verbesserung im Vergleich zu den Vorjahren – bei unter 50. Inwieweit ist das Alter der politischen Entscheider:innen verantwortlich dafür, dass das Internet bislang immer noch zu sehr sich selbst überlassen wird?
Viele der Probleme, wenn es um den Umgang mit der Technologie und ihren Auswirkungen geht, kommen daher, dass die Mehrheit der Entscheidungsträger:innen und Gesetzgeber:innen nicht mit der Technologie vertraut sind. Sie wissen nicht, wie dieses oder jenes funktioniert und welche Auswirkungen etwas hat. Das kann am Alter liegen, aber auch einfach an Nichtwissen. Das gilt im Übrigen auch für die Gesellschaft. Die meisten Menschen meinen, dass Technik neutral ist und einfach alles besser machen wird. Diese Menschen vergessen jedoch, dass Technologie von Menschen gemacht ist.
Was war deine erste Verbindung zu Technologie?
Um ehrlich zu sein, bin ich in einer ziemlich analogen Umgebung aufgewachsen. Ich erinnere mich noch daran, dass meine Schwester und ich an einem Weihnachtsfest sehr aufgeregt waren, weil unsere Mutter uns ein großes Geschenk angekündigt hatte. Wir dachten, es würde ein Computer sein. Aber es war … eine Katze! Technologie in dem Sinne, wie wir jetzt darüber sprechen, war etwas, das ich in der Highschool auf einem MS-Dos-Computer lernte. Erst als ich auf die Universität ging, bekam ich mein erstes E-Mail-Konto, mein erstes – internetloses – Handy und so weiter.
Siehst du Digitale Rechte auf einem guten Weg?
Europa steht nicht schlecht da, wenn es um die Regulierung geht. Die Datenschutzgrundverordnung ist eine der fortschrittlichsten Datenschutzregelungen, die uns als Einzelpersonen stärkt, unsere Datenschutzrechte durchzusetzen. Darüber hinaus ist es eine Gesetzgebung, die auf der ganzen Welt kopiert wurde und viele Gespräche über den Datenschutz auch in anderen Regionen inspiriert hat. Aber Regulierung allein ist nie genug.
Was braucht es?
Wie in anderen Bereichen auch, so müssen auch Regulierungen getestet werden. Man muss sie operationalisieren, indem man sicherstellt, dass man Verstöße innerhalb des Rahmens anficht. Das ist es, was im Moment geschieht. Insgesamt ist Europa eine großartige Landschaft für Rechtsstreitigkeiten, weil es eine Reihe von starken nationalen Gerichtsbarkeiten gibt, von denen aus man auch Zugang zu einem großen höheren Gericht hat. Es gibt den Gerichtshof der Europäischen Union und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – und damit viele Möglichkeiten, Menschenrechte durchzusetzen.