
Autor:in: Laura Haverkamp
Bild: Massimo Todaro/Shutterstock
Wie wir auf Veränderung schauen,
oder: der systemische Blick
Der Begriff »system-changing new idea« ist fester Bestandteil des Ashoka-Sprechs. Aber was meinen wir eigentlich, wenn wir von systemverändernden Ideen sprechen? Ein kurzer Ein- und Überblick.

Wir können auf unterschiedlichen Ebenen gesellschaftlich wirken.
Verteilen wir beispielsweise Essen oder geben Nachhilfe im Rahmen einer lokalen Initiative, dann helfen wir einzelnen Menschen ganz direkt (1). Wenn wir diese Aktivitäten skalieren, wie etwa beim Deutschen Roten Kreuz oder den Tafeln, helfen wir vielen Menschen (2). Es ist gut, wenn wir den größten Teil unserer Kraft und Ressourcen auf den Ebenen 1 und 2 investieren. Wir brauchen Krankenhäuser, um Krankheiten und Verletzugen zu heilen, und wir brauchen die Tafeln für eine flächendeckende soziale Sicherung. Gleichzeitig müssen wir anerkennen, dass die Ursachen für die Probleme damit nicht behoben sind. Das Schulsystem wird zum Beispiel auch im darauffolgenden Jahr wieder mit dafür sorgen, dass einige Schüler:innen abgehängt werden.
Um diese Ursachen zu verändern, müssen wir unter die Oberfläche schauen: Welche sozialen Systeme sind für das Problem verantwortlich? Welche Regeln, Märkte, Informationsflüsse und Machtdynamiken müssen wir verändern, damit das Problem nicht mehr auftritt – oder zumindest nicht mehr in dem Ausmaß? Das ist die Ebene der systemischen Veränderungen, die uns bei Ashoka besonders interessiert (3). Unsere Leitfrage lautet: Was muss sich verändern, wie sähe die Gesellschaft aus, wenn sich ein neuer Ansatz in einem ganzen System durchsetzt? Bei besonders tiefgreifender Veränderung setzen sich neue Normen durch, die unser Denken und Handeln über viele verschiedene soziale Systeme hinweg bestimmen (4). Das war zum Beispiel bei den Bürgerrechts- und Frauenbewegungen der Fall. Wir brauchen direkte Wirkung und zwar viel davon. Gleichzeitig sollten wir auch diejenigen fördern, die unter die Oberfläche gucken. Lasst uns gemeinsam werben für diesen Blick auf gesellschaftliche Veränderung. Was wir dafür brauchen? Einen Anspruch, eine Denkweise und eine Haltung.
(zitiert nach Odin Mühlenbein: Über Mopp und Eimer, tbd.community)
Anpruch
Wir möchten Probleme nicht nur identifizieren, sondern zumindest auch ein Stück weit zu ihrer Überwindung beitragen. Dafür genügt es in der Regel nicht, nur mit den Menschen zu arbeiten, die direkt von einem Problem betroffen sind. Stattdessen müssen Regeln geändert, Märkte geschaffen oder neue Informationsflüsse etabliert werden. Eben weil es in komplexen Systemen keine einfachen Lösungen gibt, bedeutet dieser Anspruch auch, den eigenen Ansatz immer wieder infrage zu stellen und anzupassen.
Denkweise
Wir denken in systemischen Zusammenhängen und erkennen an, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Von den Ereignissen in den Nachrichten bis hin zu den konkreten Problemen von einzelnen Personen ist alles Teil eines größeren Ganzen. Was wir sehen, sind die Symptome von tiefer liegenden Ursachen, die oft auf komplexe Art und Weise miteinander verbunden sind. Systemdenker:innen sind demütig angesichts dieser Herausforderung und bleiben trotzdem optimistisch.
Haltung
Wir nehmen uns selbst zurück und stellen das Ziel in den Vordergrund. Viele Strategien können wir nur umsetzen, wenn wir unsere Ideen teilen und anderen dabei helfen, sie zu nutzen. Wenn wir die guten Ideen von anderen aufgreifen. Wenn wir Allianzen schmieden, Ressourcen teilen, und wo nötig mit einer Stimme sprechen. Wenn wir nicht fragen »Was ist gut für mich und meine Organisation?«, sondern »Was braucht die Welt, und welche Rolle können wir dabei spielen?«
Weiterführende Literatur: »Thinking in Systems« von Donella Meadows